S3-Leitlinie zur Therapie periimplantärer
Negativ-Voten: Erstmals raten die Fachleute von bestimmten Therapieverfahren ab.
Die Deutsche Gesellschaft für Implantologie (DGI) und die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) haben eine kom- plett überarbeitete S3-Leitlinie zur Behandlung periimplantärer Infektionen an Zahnimplantaten veröffentlicht. Erstmals haben die Fachleute von 17 wissen- schaftlichen Fachgesellschaften und Organisationen in dieser Leitlinie über meh- reren Therapieverfahren wegen fehlendem (Zusatz-)Nutzen auch den Daumen gesenkt: In 13 von 21 Empfehlungen raten sie vom Einsatz bestimmter Behandlungen ab. Federführender Autor ist Prof. Dr. Frank Schwarz (Frankfurt).
Die erste S3-Leitlinie der DGI zur Behandlung periimplantärer Infektionen, 2016 publiziert, war nicht nur national, sondern auch international die erste Leitlinie zu diesem Thema auf höchstem Qualitätsniveau. Für die nun vorliegende Aktualisierung zeichnet erneut Prof. Dr. Frank Schwarz von der Poliklinik für Zahnärztliche Chirurgie und Implantologie der Goethe Universität Frankfurt als federführender Autor verantwortlich. Er wurde von elf weiteren Autorinnen und Autoren bei diesem Projekt unterstützt.
Vom Titel abgesehen, hat die neue Leitlinie quantitativ wie qualitativ wenig mit ihrer Vorgängerin zu tun. Zwar enthält sie mit 21 Empfehlungen nur drei Ratschläge mehr als die alte. Doch von diesen 21 wurden 18 Empfehlungen komplett neu for- muliert. Kurz: Die Autorinnen und Autoren haben kaum einen Stein auf dem ande- ren gelassen und ganze Arbeit geleistet. „Wir haben die Leitlinie quasi neu geschrie- ben“, schmunzelt Professor Schwarz zufrieden.
Möglich wurde diese Überarbeitung durch eine hohe Zahl neuer, qualitativ hoch- wertiger Veröffentlichungen und wissenschaftlicher Studien. 2016 stützten sich die Autoren auf 40 Veröffentlichungen, darunter 32 Studien. 2021 standen ihnen 80 Veröffentlichungen, davon 62 Studien zur Verfügung. „Diese Daten haben uns erlaubt“, sagt Professor Schwarz, „die Effektivität alternativer und adjuvanter Verfahren zur nichtchirurgischen Therapie der periimplantären Mukositis und der Periimplantitis sowie der chirurgischen Behandlung der Periimplantitis grundlegend neu zu bewerten.“
Forschungsbedarf bleibt. Dies bedeutet gleichwohl nicht, dass es keinen Forschungsbedarf mehr gibt. So fehlt es beispielsweise noch an der nötigen Trennschärfe, ab der es sinnvoll ist, bei einer Periimplantitis die nichtchirurgische Therapie abzusetzen und mit der chirurgischen zu beginnen. Auch die Tatsache, dass bei einer periimplantären Mukositis zwar alle Therapieverfahren bestimmte
klinische Parameter verbessern können, ein vollständiges Abheilen der Entzündung jedoch nicht vorhersehbar zu erreichen ist, erfordert weitere Untersuchungen.
Daumen runter. Auffallend ist insbesondere, dass die Fachleute über bestimmten Verfahren, die in der alten Leitlinie mangels unsicherer Evidenz mit einer „Kann man machen“-Empfehlung versehen worden waren, eindeutig und klar die Daumen gesenkt haben: In 13 Empfehlungen wird von bestimmten Methoden de facto abgeraten.
Die Weichen richtig stellen. Schon bei der Planung und vor der Behandlung gilt es, bestimm- te Risikofaktoren zu beachten und zu vermeiden. Patientinnen und Patienten soll die Bedeutung einer guten Mundhygiene erläutert werden. Liegt eine Parodontalerkrankung vor, soll diese leitliniengerecht behandelt werden.
Eine Implantat-Nachsorge ist unerlässlich. „Eine frühzeitig erkannte und behandelte periim- plantäre Mukositis ist eine wichtige präventive Maßnahme zur Verhinderung einer Periimplantitis“, betont Prof. Schwarz. Dafür ist die konsequente Implantatnachsorge uner- lässlich und Bestandteil der Behandlung.
Therapie der periimplantären Mukositis
Bei einer periimplantären Mukositis sollen die Betroffenen zu einer Veränderung ihres Verhaltens bezüglich der Mundhygiene motiviert werden. Hinzu kommen soll die Entfernung von Biofilm mit konventionellen Verfahren in der Praxis.
Eine vollständige Abheilung der periimplantären Mukositis ist jedoch weder mit konventio- nellen noch mit alternativen Verfahren zur Biofilmentfernung bei allen Patienten vorherseh- bar erreichbar. Darum empfehlen die Fachleute engmaschige Nachuntersuchungen, etwa im dreimonatigen Abstand.
Um die klinischen Zeichen der Infektion zu eliminieren, haben alternative und adjuvante Methoden im Vergleich mit dem konventionellen Debridement keinen (zusätzlichen) Nutzen.
Nicht zum Einsatz kommen sollten darum die alternativen Verfahren wie etwa Glycinpulver basiertes Air-Polishing oder Chitosan-Bürsten. Dies gilt auch für adjuvante Verfahren wie die Diodenlaser-/antimikrobielle photodynamische Therapie, eine lokale antiseptische Behandlung sowie eine systemische Therapie mit Antibiotika oder Probiotika.
Therapie der Periimplantitis – nichtchirurgische Behandlung
Anders als bei der Mukositis sollten alternative Verfahren zur Biofilmentfernung bei der nichtchirurgischen Therapie der Periimplantitis eingesetzt werden: eine Monotherapie mit Er:YAG-Laser oder Glycin-gestütztes Air-Polishing. Die Anwendung von Ultraschall hat indes keinen zusätzlichen klinischen Effekt.
Von den adjuvanten Therapien kann die antimikrobielle photodynamische Therapie zum Einsatz kommen. Von einer Diodenlaser-Anwendung raten die Fachleute hingegen ab. Dies gilt auch für lokale antiseptische und antibiotische Therapien sowie Probiotika. Eine syste-
mische Behandlung mit Antibiotika sollte aufgrund genereller gesundheitlicher Bedenken auf Patienten- und Bevölkerungsebene nicht routinemäßig eingesetzt werden.
Eine Reevaluation des Behandlungserfolges sollte spätestens nach sechs Monaten erfol- gen. Wird das Behandlungsziel durch eine nichtchirurgische Therapie nicht erreicht, sollten insbesondere fortgeschrittene Läsionen frühzeitig chirurgisch behandelt werden.
Therapie der Periimplantitis – chirurgische Behandlung
Es stehen vier chirurgische Therapiekonzepte zur Verfügung, die alle die vollständige Entfernung des Granulationsgewebes sowie eine Dekontamination der Implantatoberfläche umfassen:
→ Lappenoperation (nicht-rekontruktiv)
→ Lappenoperation und resektive Maßnahmen (z.B. Exzision von Weichgewebe zur Taschenelimination, chirurgische Knochenremodellation, Glättung rauer Implantatoberflächen)
→ Lappenoperation mit augmentativen Maßnahmen (rekonstruktive Therapie)
→ Lappenoperation mit kombinierten resektiven/augmentativen Maßnahmen
Die Fachleute raten bei den chirurgischen Verfahren von adjuvanten Antiseptika bei der nicht-rekonstruktiven Chirurgie ab. Alternative Verfahren zur Dekontamination der Implantatoberflächen (Titanbürste, Glycinpulver-basiertes Air-Polishing) bieten hingegen im Vergleich zum konventionellen Debridement mit Plastikküretten Vorteile bezüglich Bleeding-on-Probing (BOP) und Sondierungstiefe.
Bei der rekonstruktiven chirurgischen Therapie sollte eine Ozontherapie oder der Einsatz eines Kohlenstoffdioxidlasers zur Dekontamination der Implantatoberfläche nicht einge- setzt werden.
Periimplantäre Infektionen sind ein relevantes Problem.
Periimplantäre Infektionen bei Implantatpatienten werden durch bakterielle Biofilme verursacht: Das Weichgewebe um Implantate entzündet sich (periimplan- täre Mukositis). Dies kann sowohl bei Titan- als auch bei Keramikimplantaten auf- treten. Die Erkrankung schreitet fort, wenn sie nicht behandelt wird, und greift auf das Knochengewebe über – dann lautet die Diagnose: Periimplantitis.
→ Die gewichtete Prävalenz beträgt fur die periimplantäre Mukositis 43 Prozent und 22 Prozent für die Periimplantitis.
→ Studien belegen die Folgen einer Nichtbehandlung: Im Experiment entzündet sich bei Menschen das Weichgewebe um Zahnimplantate, wenn die Bildung und Anreicherung von Plaque drei Wochen lang nicht durch Zähneputzen gestört wird.
→ Bleibt sie unbehandelt, entwickelt sich aus einer klinisch manifesten periimplan- tären Mukositis binnen eines Beobachtungszeitraums von fünf Jahren in 43,9 Prozent der Fälle eine Periimplantitis.
→ Durch eine regelmäßige vorbeugende Therapie konnte die Inzidenz in einer Kontrollgruppe hingegen auf 18,0 Prozent reduziert werden. Unbehandelt führt eine Periimplantitis zum Implantatverlust.
Risikofaktoren sind Parodontalerkrankungen, eine schlechte Mundhygiene, eine vorausgegangene Strahlentherapie sowie unregelmäßige Kontrolluntersuchungen. Auch biologische Faktoren der Patienten sowie Zementreste einer Behandlung, Fehlpositionierungen von Implantaten, ebenso ein fehlerhafter Sitz und/ oder man- gelnde Präzision der Sekundarteile und Überkonturierungen von Restaurationen spielen eine Rolle.
Diagnostischer Schlüsselparameter. Schlüsselparameter für die klinische Diagnostik periimplantärer Infektionen ist die Blutung auf Sondierung (BOP). Auch Sondierungstiefen sind relevant. Allerdings sollten diese auf Basis früherer Messungen, etwa nach Eingliederung der Suprakonstruktion, bewertet werden. Die Produktion von Eiter ist ein charakteristisches Merkmal einer Periimplantitis. Der marginale Knochenabbau lässt zumeist auch die periimplantären Sondierungstiefen steigen und gibt Aufschluss über den Schweregrad einer Periimplantitis. Der radiolo- gisch nachweisbare Knochenabbau unterscheidet die Periimplantitis von einer Mukositis.